Das Plus von PolioPlus

Wir bekämpfen nicht nur Polio (Kinderlähmung) – diese Kampagne leistet mehr.

Musa Muhammed Ali ist Landwirt im nigerianischen Bundesstaat Borno. Er kämpft bereits sein ganzes Leben lang mit den Folgen von Polio. So war er beispielsweise lange darauf angewiesen, sein hart verdientes Geld für Verkehrsmittel auszugeben, wenn er Futter für seine Tiere besorgte. Heute fährt Ali (Bild oben) ein handbetriebenes Dreirad, das mit Spendengeldern der Rotary-Kampagne PolioPlus finanziert wurde, und kann sein Geld für wichtigere Dinge ausgeben. Das „Plus“ von PolioPlus hat Alis Leben verändert.

Bei PolioPlus denken wir sofort an den Kampf gegen Polio und vergessen dabei aber zu leicht, dass das Programm weitaus mehr leistet. Das „Plus“ steht für einen zusätzlichen Nutzen, den die Kampagne mit sich bringt. Das kann also ein handbetriebenes Dreirad sein oder auch der Zugang zu Trinkwasser. Genauso kann es sich dabei um zusätzliche medizinische Behandlung, ein Moskitonetz oder Seife handeln. Eine Studie aus dem Jahr 2010 kam zu dem Ergebnis, dass die Verabreichung einer Vitamin-A-Lösung bei der Polio-Impfung von Kindern schätzungsweise 1,25 Millionen Todesfälle verhindert hat, da die Kinder weniger anfällig für Infektionskrankheiten wurden.

In diesem Artikel nehmen wir Sie mit nach Nigeria, das schon bald frei von wilden Polioviren sein könnte. Wir möchten Ihnen zeigen, wie die Kampagne zur Bekämpfung von Polio das Leben der Menschen dort in vielfältiger Weise zum Positiven verändert.

KRANKHEITSPRÄVENTION

Impfkampagnen gegen Polio sind in Nordnigeria besonders schwer durchzuführen. Durch die Aufstände der Terrorgruppe Boko Haram sind Millionen von Menschen heimatlos geworden, was zu verbreiteter Unterernährung und einer hohen Anzahl an Krankheitsausbrüchen geführt hat. Hilfskräfte setzen sich unermüdlich dafür ein, jedes einzelne Kind gegen Polio zu impfen und anderweitig medizinisch zu versorgen, sofern es die Sicherheitslage zulässt. In Flüchtlingslagern gehen sie von Zelt zu Zelt, um dieses Ziel zu erreichen. Die Hilfskräfte auf diesem Bild engagieren sich in Maiduguri, der Hauptstadt von Borno, wo die Aufstände vor zehn Jahren begannen.

Die Globale Polio-Ausrottungsinitiative (Global Polio Eradication Initiative, GPEI), an der Rotary als eine der führenden Partnerorganisationen beteiligt ist, finanziert 91 Prozent aller Impfkräfte der Weltgesundheitsorganisation WHO in Afrika. Diese Mitarbeitenden sind die treibenden Kräfte im Kampf gegen Polio – und andere Krankheiten: 85 Prozent von ihnen widmen die Hälfte ihrer Zeit Impfmaßnahmen, Kontrollvorgängen sowie Hilfseinsätzen für andere Initiativen bei Krankheitsausbrüchen. Die Hilfskräfte in Borno verwenden beispielsweise das Polio-Überwachungssystem, das neue Polio-Fälle sowie den Ort und die Art und Weise ihres Ursprungs erkennt. So können Menschen mit Gelbfiebersymptomen ausfindig gemacht werden. Während eines Gelbfieberausbruchs im Jahr 2018 wurden u. a. dank des Einsatzes dieses Systems acht Millionen Menschen geimpft. Als sich 2014 in Nigeria das Ebola-Virus verbreitete, setzten die Hilfskräfte ebenfalls Methoden ein, die für die Kampagne zur Bekämpfung von Polio entwickelt wurden. Da sie auf diese Weise alle Personen ausfindig machen konnten, die mit Infizierten in Kontakt gekommen waren, wurde eine Ausbreitung der Krankheit über die 19 gemeldeten Fälle hinaus verhindert.
 

Kinder, die gegen Polio geimpft sind, haben jedoch weiterhin mit anderen Krankheiten zu kämpfen. In Borno sterben mehr Menschen an Malaria als an allen anderen Krankheiten zusammen. Alle zwei Minuten stirbt irgendwo auf der Welt ein Kind an Malaria. Um die Ausbreitung dieser Krankheit zu verhindern, werden im Rahmen der Polio-Impfaktionen häufig kostenlose, mit Insektiziden behandelte Moskitonetze verteilt – so wie jenes, das Hurera Idris hier gerade in ihrem Zuhause aufhängt (siehe Bild oben). 2017 organisierte die Weltgesundheitsorganisation WHO, einer der GPEI-Partner von Rotary, die Bereitstellung von Malariamedikamenten für Kinder in Borno. Dabei kamen sowohl die Infrastruktur als auch die Mitarbeitenden der Polio-Kampagne zum Einsatz. Zum ersten Mal konnten auf diesem Weg große Mengen an Malariamedikamenten zusammen mit der Polio-Impfung ausgegeben werden. 1,2 Millionen Kinder wurden so im Rahmen dieser Kampagne versorgt.

Rotary und seine Partner verteilen auch Seife und richten Gesundheitscamps ein, um andere Krankheiten zu behandeln. „Das Plus stellt sich je nach Gebiet unterschiedlich dar. Wir prüfen, was in einer Region am dringendsten benötigt wird, und versuchen, Versorgungslücken zu schließen“, erklärt Tunji Funsho, Vorsitzender des PolioPlus-Komitees von Rotary in Nigeria. „Zum Teil stoßen wir bei der Impfung von Kindern deshalb auf Ablehnung, weil wir diese Kampagne schon so lange betreiben. Die Menschen hier stehen Dingen, die dauerhaft kostenlos angeboten werden, misstrauisch gegenüber. Wenn die sonst widerwilligen Eltern aber wissen, dass sie zusätzlich zur Impfung noch etwas Anderes bekommen, bringen sie ihre Kinder zu uns.“

Mit den Spenden der Rotarier für PolioPlus werden Planungen durch technische Experten, groß angelegte Aufklärungskampagnen zu den Vorteilen von Impfungen und die Unterstützung für die freiwilligen Helfer vor Ort finanziert.

Diese Freiwilligen leisten einen ganz entscheidenden Beitrag zum Erfolg der Impfkampagnen, indem sie von Tür zu Tür gehen und die Bewohner in den abgelegensten Regionen Nigerias mobilisieren. Die Freiwilligen werden von UNICEF, einem der GPEI-Partner von Rotary, ausgewählt und geschult und anschließend auf die verschiedenen Dörfer oder Flüchtlingslager verteilt, wo sie dann auch wohnen. Sie nutzen die Gelegenheit des Gesprächs mit den Einheimischen über Polio, um auch andere gesundheitsrelevante Strategien für die Familien anzusprechen. Die oben abgebildete, freiwillige Helferin Fatima Umar erklärt Hadiza Zanna nicht nur, warum Polio-Impfungen so wichtig sind, sondern klärt sie auch über Hygienemaßnahmen und gesunde Verhaltensweisen während der Schwangerschaft auf.

Die nigerianischen Rotarier setzen sich besonders für die Rotary-Kampagne gegen Polio ein. Sir Emeka Offor, Mitglied des Rotary Clubs von Abuja Ministers Hill, und seine Stiftung produzierten beispielsweise zusammen mit Rotary und UNICEF ein Hörbuch namens „Yes to Health, No to Polio“ (Ja zur Gesundheit, Nein zu Polio), das die Hilfskräfte bei ihrer Arbeit nutzen.

VERSORGUNG MIT SAUBEREM WASSER

Indem wir langfristig bestehende Probleme wie den Zugang zu sauberem Wasser angehen, gewinnen wir das Vertrauen der Bevölkerung und haben eher die Möglichkeit, Beziehungen aufzubauen. In Flüchtlingslagern werden Impfkräfte häufig mit frustrierenden Erlebnissen konfrontiert. „Die Menschen werfen uns vor: ‚Wir haben kein Wasser und ihr gebt uns Polio-Impfstoffe‘“, erklärt Tunji Funsho. Rotary und seine Partner haben auf diesen Missstand reagiert und 31 solarbetriebene Zapfstellen finanziert, um den Zugang zu sauberem Wasser in Nordnigeria zu ermöglichen. Dieses Projekt wird immer weiter vorangetrieben. Das linke Bild unten zeigt Frauen und Kinder, die sich an einer Zapfstelle in Madinatu, wo 5.000 Geflüchtete leben, mit sauberem Wasser versorgen.

Die Versorgung mit sauberem Wasser in Krisengebieten ist nicht nur in Nigeria eine der Prioritäten des PolioPlus-Programms, sondern auch in Afghanistan und Pakistan. Diese beiden Länder sind die einzigen sonst verbliebenen polio-endemischen Länder, in denen die Infektionskette nie unterbrochen war. „Auch die Versorgung der Bevölkerung mit sauberem Wasser ist eine ehrenwerte Arbeit“, sagt Aziz Memon, Vorsitzender des PolioPlus-Komitees von Rotary in Pakistan.

Zugang zu sauberem Trinkwasser ist auch ein wichtiger Aspekt der Ausrottungsstrategie der GPEI, die Projekte unterstützt, durch die im Rahmen der Polio-Kampagnen auch die dringend benötigte Grundversorgung mit sauberem Wasser, sanitären Anlagen und Nahrung sichergestellt wird. Da das Poliovirus über menschliche Ausscheidungen übertragen wird, muss zur Ausrottung der Krankheit dafür gesorgt werden, dass Menschen kein kontaminiertes Wasser trinken oder darin baden. Laut Bunmi Lagunju, PolioPlus-Projektleiter in Nigeria, haben die Zapfstellen auch dazu beigetragen, die Ausbreitung von Cholera und anderen Krankheiten in den Flüchtlingslagern zu verhindern.

In Regionen mit einem sichergestellten Zugang zu sauberem Wasser sind die Krankheitsraten niedriger und es erhöht sich die Lebensqualität. „Als wir [im Lager] ankamen, gab es keine Zapfstellen. Wir mussten das Wasser aus dem nahegelegenen Klotzwerk holen, wo man uns aber immer nur sehr kleine Mengen zuteilte“, erzählt Jumai Alhassan (die Frau, die ihr Baby badet, linkes unteres Bild oben). „Wir sind den Menschen dankbar, die uns hier eine Wasserversorgung ermöglicht haben.“

ARBEITSPLATZBESCHAFFUNG

Musa Maaji ist aufgrund einer Polio-Erkrankung körperlich behindert. Daher stehen ihm nicht viele Möglichkeiten offen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Im Alter von 24 Jahren lernte er dann, handbetriebene Dreiräder zu bauen, mit denen Kinder und Erwachsene mit Behinderung mobil sind, und eröffnete ein wenig später sogar seine eigene Werkstatt. Seinen Durchbruch, so erinnert er sich, erzielte er dank einer Probebestellung einer örtlichen Behörde. Dort war man so beeindruckt von dem Dreirad, dass weitere Bestellungen folgten. Kürzlich hat das PolioPlus-Komitee von Rotary in Nigeria 150 Dreiräder bei Maaji bestellt, um sie an Polio-Kranke und andere Menschen mit eingeschränkter Mobilität weiterzugeben. Die guten Beziehungen zu den Rotariern vor Ort haben ihn dazu motiviert, an den Tür-zu-Tür-Kampagnen für Polio-Impfungen teilzunehmen.

„Mit einer körperlichen Behinderung hat man es nicht einfach“, erklärt er. „Ich möchte andere Menschen darüber aufklären, wie wichtig diese Polio-Impfungen sind. Ich will nicht, dass andere mein Schicksal teilen müssen.“

Aliyu Issah hatte Glück: Er kann sich mit den Einnahmen seines kleinen Lebensmittelladens über Wasser halten. Er kennt andere Polio-Überlebende, die verschiedene Ausbildungsprogramme absolviert haben, denen jedoch das Geld zur Gründung eines eigenen Geschäfts fehlt und die deshalb betteln gehen müssen. Die GPEI hat jedoch eine Tätigkeit geschaffen, für die ausschließlich Polio-Betroffene infrage kommen: Sie sollen Aufklärungsarbeit leisten und andere Menschen über die Auswirkungen der Krankheit informieren.

„Einige meiner Freunde, die vorher auf der Straße saßen, konnten mit dem Geld, das sie bei den Tür-zu-Tür-Kampagnen verdient haben, endlich ein eigenes Geschäft eröffnen“, freut sich Issah.

BESSERE GESUNDHEITSVERSORGUNG

In Maiduguri fährt Falmata Mustapha ebenfalls ein handbetriebenes Dreirad, das ihr das PolioPlus-Komitee von Rotary in Nigeria gespendet hat. Sie unterstützt mehrere Hilfskräfte bei einer Tür-zu-Tür-Impfkampagne und bringt mit ihnen zusammen Polio-Impfstoffe in Regionen, in denen eine grundlegende Gesundheitsversorgung nicht gegeben ist. Daten von UNICEF zeigen, dass Polio-Überlebende wie Mustapha eine bemerkenswert hohe Erfolgsquote haben, wenn es darum geht, zögernde Eltern davon zu überzeugen, ihre Kinder impfen zu lassen. Im Durchschnitt überzeugen Betroffene sieben von zehn Eltern. Fehlinformationen und Gerüchte lassen viele Menschen vor einer Impfung zurückschrecken. Hier spielen diejenigen, die selbst von Polio betroffen sind, eine ganz entscheidende Rolle in der letzten Phase der Krankheitsausrottung.

„Seit ich mit dem Team zusammenarbeite, lassen sich viel mehr Menschen impfen“, berichtet Mustapha stolz. „Aufgrund meiner Arbeit genieße ich ein hohes Ansehen innerhalb meiner Gemeinde, was mich sehr freut.“


Es ist der Polio-Bekämpfungskampagne zu verdanken, dass weltweit 18 Millionen Menschen heute noch leben und laufen können, die andernfalls gestorben wären oder eine Lähmung erlitten hätten. Die durch Spenden von PolioPlus unterstützten Freiwilligen und Hilfskräfte haben eine Infrastruktur zur Gesundheitsversorgung und Datenerfassung eingerichtet, die es in vielen Teilen der Welt vorher nicht gab. Diese Infrastruktur ermöglicht eine bessere allgemeine Gesundheitsversorgung und die Bekämpfung anderer Krankheiten. Sie ist der Beweis dafür, dass es bei PolioPlus nicht nur um die endgültige Ausrottung einer tödlichen Krankheit geht, sondern auch um den Aufbau eines robusteren Gesundheitssystems, das den am meisten gefährdeten Kindern dieser Welt einen besseren Zugang zu lebensrettenden Maßnahmen bietet.

Der englische Originalartikel erschien ursprünglich in der Oktober-Ausgabe 2019 des Magazins The Rotarian.

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Wenn auch Sie spenden möchten, gehen Sie auf endpolio.org/de/donate.

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Rotary International | Dez. 16, 2024