Die Seuchen-Detektive - Kontakt-Verfolger sind dem Virus auf der Spur

Schon seit des Großteils des letzten Jahrhunderts zählt die Ermittlung von Kontaktpersonen zu den Eckpfeilern der öffentlichen Gesundheit, also lange vor dem neuartigen Coronavirus.

Am 20. Juli 2014 brach ein liberianisch-amerikanischer Mann auf einem Flughafen im nigerianischen Lagos zusammen, einer Stadt mit mehr als 10 Millionen Einwohnern. Drei Tage später wurde bei ihm Ebola diagnostiziert, der erste Fall des Landes. Die Ankunft des Ebola-Virus in einer der größten Städte der Welt war ein Szenario, das, wie ein US-Regierungsvertreter damals feststellte, die Sorge vor einem „apokalyptischen urbanen Ausbruch“ hervorrief.

Aber was eine schreckliche Epidemie hätte werden können, wurde abgewendet; nur 19 weitere Menschen in Nigeria erkrankten an der Infektionskrankheit, und sieben starben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärte das Land am 20. Oktober für frei von Ebola, drei Monate nachdem dieser erste Fall diagnostiziert worden war.

Für diesen Erfolg erwies sich das von Rotary unterstützte Programm zur Ausrottung der Kinderlähmung als entscheidend mit seinen starken Partnerschaften, die zwischen der nigerianischen Regierung und anderen Organisationen aufgebaut worden waren, sowie der Infrastruktur, die geschaffen worden war. Das nigerianische Gesundheitsministerium erklärte Ebola rasch zum Notfall und richtete eine Kommandozentrale nach dem Vorbild des Polio-Programms ein, um die Gegenmaßnahmen zu koordinieren. Ein Team von 40 in Epidemiologie ausgebildeten Ärzten, die an der Kampagne zur Ausrottung der Kinderlähmung im Land mitwirkten, wurde nun zur Bekämpfung von Ebola eingesetzt. Technische Experten des Polio-Programms schulten Gesundheitspersonal in Kontaktverfolgung, Fallmanagement und mehr.

Ausgehend von diesem ersten Patienten, dem so genannten „Indexfall, erstellten Gesundheitsarbeiter eine Liste von fast 900 Kontakten, die von einem Team von 150 Kontakt-Verfolgern mittels 18.500 persönlichen Besuchen gewissenhaft aufgespürt wurden. Nur ein einziger Kontakt konnte nicht nachverfolgt werden. Fleiß- und Detektivarbeit hatte den Ausbruch gestoppt.

Geschichte der Kontakt-Verfolgung

Kontaktverfolgung, also die Ermittlung von Kontaktpersonen, ist in letzter Zeit häufig in den Nachrichten, spielt sie doch eine wichtige Rolle bei der Verlangsamung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus. Doch sie war bereits während eines Großteils des vergangenen Jahrhunderts ein Eckpfeiler der öffentlichen Gesundheit. 1937 schrieb der damalige Surgeon General der USA Thomas Parran ein Buch über die Kontrolle der Syphilis, in dem er die Ermittlung von Kontaktpersonen ausführlich beschrieb. Seitdem ist diese Praxis ein wertvolles Instrument - zur Bekämpfung der Ausbreitung sexuell übertragbarer Infektionen wie auch von durch Impfung vermeidbaren Krankheiten wie Masern und Tuberkulose. Die Pocken wurden nicht durch die Impfung ganzer Bevölkerungen besiegt, sondern durch das Auffinden und Impfen aller Personen, die mit den Erkrankten in Kontakt gekommen waren. Und die Kontaktverfolgung hat auch bei den Fortschritten, die wir im Kampf gegen Polio erzielt haben, eine Rolle gespielt.

Unabhängig von der betreffenden Krankheit ermöglicht die Ermittlung von Kontaktpersonen es dem Gesundheitspersonal, schnell die Personen zu finden, die mit einem Träger in Kontakt waren, festzustellen, ob sie ebenfalls infiziert sind, Unterstützung und Behandlung anzubieten und eine Liste der Kontakte dieser Person zu erstellen, falls die Verfolgungskette erweitert werden muss. Und sind alle Infizierten gefunden, kann durch Impfung oder Isolierung bzw. Quarantäne verhindert werden, dass sich das Virus weiter ausbreitet. (Das Wort „Quarantäne“ stammt aus dem Mittelalter, als Seeleute 40 Tage lang - auf Lateinisch „quarentena“ - an Bord ihrer frisch in den Hafen eingelaufenen Schiffe bleiben mussten, um die Ausbreitung der Beulenpest zu verhindern).

Unterschiedlich ist je nach Krankheit, wer als Kontaktperson gilt. Um festzustellen, wer das größte Ansteckungsrisiko hat, untersuchen die Ermittler die Merkmale der Krankheit und ihre Ausbreitung. Ebola zum Beispiel wird durch den Kontakt mit Körperflüssigkeiten übertragen. Deshalb überwachten Kontakt-Verfolger Personen, die direkten körperlichen Kontakt mit einer infizierten Person hatten. Für COVID-19, eine Atemwegserkrankung, haben die US-Gesundheitsbehörden alle Personen als engen Kontakt definiert, die sich mindestens 15 Minuten lang im Umkreis von bis zu 1,5 Metern Abstand um eine infizierte Person herum befanden.

Natürlich ist die Kontakt-Verfolgung nicht einfach. Einige Krankheiten, wie z.B. Grippe und COVID-19, verbreiten sich so schnell, dass es schwierig ist hinterherzukommen. Eine weitere Herausforderung bei der Kontakt-Verfolgung des Coronavirus besteht darin, dass viele Infizierte genau wie bei der Kinderlähmung asymptomatisch sind.

Wie sieht ein idealer Kontakt-Verfolger aus?

Denise Garcia, Hebamme und Mitglied des Rotary Clubs Tawa, war eine von 190 Kontakt-Verfolgern, die das Gesundheitsministerium von Neuseeland in der Frühphase der COVID-19-Pandemie einsetzte. Gerade als medizinische Fachkraft war sie für diese Aufgabe bestens geeignet. „Sie suchten Personen, die Befragungen und Beratung durchführen konnten“, sagt sie.

Wie Denise Garcia verfügt der ideale Kontakt-Verfolger über starke zwischenmenschliche Fähigkeiten. Eine der größten Herausforderungen bei dieser Aufgabe ist der Spagat zwischen Detektiv- und Sozialarbeit. „Sie müssen das Vertrauen der Menschen gewinnen und ihre Integrität überzeugend vermitteln“, sagt William Schaffner, Professor für Präventivmedizin und Infektionskrankheiten am Vanderbilt University Medical Center. Angesichts der sozialen Stigmatisierung einiger Krankheiten und des Misstrauens einiger Gruppen von Menschen gegenüber der Regierung kann dies eine besondere Herausforderung darstellen.

Den Kontakt-Verfolgern wird nie der Name der Person mitgeteilt, die positiv getestet wurde. Diese Diskretion trägt zur Vertrauensbildung bei - wenn die kontaktierte Person nie herausfindet, wer die Quelle ihrer Infektion war, kann sie darauf vertrauen, dass auch ihr eigener Name nicht preisgegeben wird.

Rosemary Onyibe weiß um die Bedeutung von Vertrauen bei der Bekämpfung einer Seuche. Am 27. Februar gab die nigerianische Regierung ihren ersten bestätigten Fall von COVID-19 bekannt, und später am selben Tag wurde Onyibe, eine Ärztin des öffentlichen Gesundheitswesens, die seit 2000 mit der WHO in Nigeria an der Initiative zur Ausrottung der Kinderlähmung arbeitet, von der WHO eingeladen, an den Maßnahmen des Landes gegen das neuartige Coronavirus mitzuwirken. Die durch das Polio-Programm geschaffene Infrastruktur sollte wieder einmal von unschätzbarem Wert sein.

Die Bemühungen zur Ausrottung der Kinderlähmung haben im Laufe der Zeit ein ausgedehntes Überwachungsnetz an der Basis geschaffen. Dazu wurden mehr als 50.000 Menschen in verschiedenen Gemeinden überall in Nigeria geschult, nach Kindern mit akuter schlaffer Lähmung (einer plötzlichen Schwäche in den Gliedmaßen) Ausschau zu halten, dem Hauptsymptom der Kinderlähmung. Und diese „Gemeindewächter“ - zu denen traditionelle Stammesführer, Geburtshelfer, Heiler, religiöse Führer, lokale Apotheker, Mitglieder von Jugendgruppen und andere einflussreiche Mitglieder der Gemeinde gehören – achten nun darauf, ob Menschen Symptome von Krankheiten aufweisen, die für die öffentliche Gesundheit von Belang sind, darunter Masern, Tuberkulose, Keuchhusten und Meningitis. Sie melden ihre Beobachtungen den für die Krankheitsüberwachung zuständigen Behörden.

„Das sind Menschen, die Teil der Gemeinde sind, dort leben und arbeiten und in den meisten Fällen von der Gemeinde sogar als Bezugspersonen für gesundheitliche Fragen ausgewählt werden“, sagt Onyibe. „Sie haben das Vertrauen der Menschen.“

Aufgrund des allgemeinen Misstrauens gegenüber der Regierung, so Onyibe, halten viele Nigerianer COVID-19 nicht für real - was dieses Vertrauensnetzwerk umso notwendiger macht. Mithilfe von Postern und Präsentationen schulten die lokalen Behörden die Gemeindewächter bezüglich der Symptome des Virus, und in Gesundheitseinrichtungen unterstützte die WHO auch die Schulung von Gesundheitspersonal für die Suche nach COVID-19.

Im Fall von COVID-19 melden die Gemeindewächter oder Gesundheitsarbeiter jeden Verdachtsfall den staatlichen Behörden, die dann eine schnelle Eingreiftruppe entsenden, um die Person zu testen. Ist das Ergebnis positiv, wird die Person in ein Isolationszentrum evakuiert, und ihre Kontakte werden zurückverfolgt und mindestens 14 Tage lang überwacht. Wenn einer der Kontakte Symptome zeigt, wird auch diese Person getestet, und der Prozess beginnt erneut.

„Die Polio-Infrastruktur in Nigeria hat die Reaktion auf einen Ausbruch jeglicher Infektionskrankheit schneller und gezielter gemacht. Von der Basis bis zur nationalen Ebene verfügen wir über bereits vorgeschulte Helfer, die wir deshalb schnell für Gegenmaßnahmen rüsten können“, sagt Onyibe. „Aus diesem Grund konnte Nigeria Ebola besiegen, und deshalb ist Nigeria auch in der Lage, COVID-19 zu bekämpfen. Und das hat die Welt Rotary International zu verdanken.“

• Der Originalbeitrag erschien in der Ausgabe Oktober 2020 des Magazins Rotary.

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Rotary International | Dez. 16, 2024